jueves, 16 de diciembre de 2010

MIXED EMOTIONS -GEMISCHTE GEFÜHLE Ausstellung in der Kunsthalle Brennabor












MIXED EMOTIONS - GEMISCHTE GEFÜHLE

Die Gegenüberstellung einer Auswahl von Werken der Bildhauerin Christa Biederbick und den Video Künstlerinnen Ulrike Rosenbach, Risk Hazekamp, Judith Barry Ute Friederike-Juerß, Teresa Margolles, A K Dolven, Sigalit Landau, gibt uns die Möglichkeit, die Stellungnahme zu den relevanten, aktuellen, gesellschaftlichen Fragen aus der Sicht von Künstlerinnen zu erfahren, wobei die gesellschaftliche Rolle, das Verständnis und die Darstellung der Frau durch eine spezifische künstlerische Ästhetik und visuelle Sensibilität der Künstlerinnen zum Ausdruck gebracht wird.
Eine besondere Rolle spielen dabei die unterschiedlichen emotionalen Kategorien, die sowohl durch die Künstlerinnen behandeln werden, als auch die Reaktionen die bei dem Betrachter durch die Kunstwerke ausgelösst werden können. “Mixed emotions/ gemischte Gefühle” erschließt uns somit ein neues Territorium von neuen Erfahrungsfeldern der Emotionalität und des kognitiven Denkens.

Kuratiert von Bodo Rau

Ausstellung in der Kunsthalle Brennabor in Brandenburg-Havel
vom 03. Dezember 2010 bis 14. Jannuar 2011



Kunshalle Brennabor
Geschwister-Scholl-Str. 10-13
14776 Brandenburg an der Havel
Öffnungszeiten: Mitwoch bis Sonntag 13-19 Uhr



Die Ausstellung wird gemeinsam mit DA2 Domus Artium 2002 und Fundación Salamanca Ciudad de Cultura realisiert. Wir danken dem Sponsor Kunstiftung Christa und Nikolaus Schües


MIXED EMOTIONS-GEMISCHTE GEFÜHLE

Plastik versus Video - Werke von Christa Biederbick in Gegenüberstellung mit Arbeiten internationaler zeitgenössischen Künstlerinnen

Die Bildhauerin Christa Biederbick gehört zu den herausragenden Vertretern einer an Humanismus und kritischer gesellschaftlicher Reflexion orientierten Figuration in der Bildhauerei der Gegenwart. Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat sie – neben langjähriger Lehrtätigkeit – ein umfangreiches Werk geschaffen, das in zahlreichen Einzel- und bedeutenden Gruppenausstellungen zu sehen war. Sie hat an mehreren internationalen Bildhauersymposien teilgenommen und Plastiken für den öffentlichen Raum ausgeführt – vor allem in Berlin. Im vergangenen Jahr erschien der Werkkatalog und in diesem Jahr feiert die Künstlerin ihren siebzigsten Geburtstag. Mit der Ausstellung "Gemischte Gefühle – Mixed Emotions" ergibt sich ein kleiner, aber repräsentativer Einblick in ihre bildhauerische Arbeit, der sicherlich ihre gestalterische Vielfalt bei großer Kontinuität der ästhetischen Position nur andeuten kann. Der zweite, gleichsam analoge Teil der Ausstellung mit Videoarbeiten von sieben internationalen Künstlerinnen eröffnet im Vergleich die Möglichkeit, Parallelen wie Differenzen zwischen den unterschiedlichen Medien und Generationen aufzufinden und damit auch den Blick für das Werk von Christa Biederbick zu schärfen.

Christa Biederbick, geboren 1940 in Balve/Westfalen, ist nach ihrem Studium in Dortmund, Münster und Berlin zuerst als Malerin und Graphikerin hervorgetreten, bevor sie sich ganz auf die Bildhauerei verlegte. Vor allem in den Anfängen verwendet sie das für die Bildhauerei neue Material Kunststoff in Form des Polyesters. Später tritt Holz hinzu – beide Werkstoffe übrigens meist in farbiger Fassung. Da die Bildhauerin von Anfang an auch szenische Gruppen und Environments gestaltet, werden andere Materialien ebenfalls miteinbezogen. Biederbick hat als eine der ersten Bildhauerinnen und eine von wenigen Frauen konsequent die besonderen Ausdrucksqualitäten des Polyesters erforscht. Zugleich zeichnen sich Formensprache und Themenwahl ihres Werkes durch eine pointiert weibliche Perspektive aus, die in ihrer Klarheit und Integrität als beispielhaft gelten kann.

Weniger die Plastik der Pop Art und anderer zeitgenössischer neofigurativer Tendenzen boten Christa Biederbick wichtige Anregungen, als vor allem der Realismus der niederländischen und deutschen spätmittelalterlichen Plastik. Biederbicks Realismus ist zwar dem in den siebziger Jahren im Westen Berlins dominierenden so genannten Kritischen Realismus verwandt, doch steht ihr Werk dem eher magischen Realismus der norddeutschen Künstlergruppe ZEBRA näher, der die Künstlerin seit 1976 auch angehört. An Stelle von idealisierendem Vor-Bild, naturalistischem Ab-Bild oder expressivem Zerr-Bild tritt bei ihr ein behutsam und intensiv reflektierendes Nach-Bild des Menschen in der heutigen Wirklichkeit, das sie autonom aus gestalterischen Elementen wie Form, Farbe, Format, Struktur und Material entwickelt.

Der Mensch steht im Zentrum. Angeregt wird die Bildhauerin durch Zeitungsfotos, eigene Aufnahmen und Skizzen, Erinnerungsbilder und Abbildungen anderer Art. Daraus formt Christa Biederbick plastische Menschen-Bilder, die die „menschliche Befindlichkeit hinter der äußeren Hülle“ sichtbar werden lassen. Das Fehlen eines Sockels erzeugt Lebensnähe, die durch den Einbezug von realen oder nachgeformten Möbeln wie Stuhl, Sessel, Sofa, Bank, Tisch und Luftmatratze oder die plastische Andeutung räumlicher Elemente ins Situative überführt wird. Das durch mehrere Figuren und Einbeziehung von Gegenständen angedeutete erzählerische Moment erhält in den jüngsten Objektinstallationen surreale Züge. Während Christa Biederbicks Polyester-Plastiken meist durch Lebensgröße und subtile Oberflächengestaltung ein individuelles, aber zugleich verfremdetes und auf Anschauung angelegtes Gegenüber aufzeigen, zeichnen sich die seit 1980 vermehrt geschaffenen Holz-Skulpturen, die meist leicht überlebensgroß und in voluminös stilisierender Vereinfachung geformt sind, als „Gedankenfiguren“ aus, die stärker allgemeine Probleme der „condition humaine“ aufscheinen lassen.

Christa Biederbicks Werk umfasst einzelne Figuren sowie Paare und Gruppen. Sowohl in den Beziehungen zwischen den Dargestellten, als auch in ihrer äußeren Gestalt und in dem Verhältnis von Figur und Raum sind übergreifende, typische Elemente erfasst. In Polyester-Plastiken wie „Mädchen auf rotem Tuch“ (1971-1972), „Frau am Tisch” (1975-1976) und „Sitzendes Mädchen” (1981) richtet Biederbick den Blick auf die Frau als Einzelwesen im privaten Umfeld. Mit der „Schriftstellerin“ (1993-1995) werden Arbeitssituation und Alter mit einbezogen. Die figürliche Zweierkonstellation tritt im Werk von Biederbick in verschiedener Form auf. Zweierbeziehung im engeren Sinne erscheint im „Paar“ (1976) als ungleiche und gefährdete Geschlechterspannung zwischen Mann und Frau. Eine Sonderrolle im Biederbicks Werk spielen die mehrfigurige, auf eigene Erlebnisse in Italien zurückgehende „Prozession“ (1977-79) und die Terrakottaplastik "Funebre" (2009-2010), in denen sie sich mit religiösen Praktiken und Alltagsriten auseinandersetzt. Die hier gezeigte Auswahl legt den Schwerpunkt auf das Thema Frau, das sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Künstlerin zieht. Andere, ebenfalls häufig von ihr aufgenommene Themen bleiben unberücksichtigt, etwa die Darstellung des Mannes, die Bedeutung von Freizeit und Sport für den zeitgenössischen Menschen sowie die Reflexion von Geschichte und Gewalt im Spiegel eigener Erlebnisse und medialer Informationen.

Die Arbeit von Christa Biederbick ist im Dreidimensionalen angesiedelt. Nach frühen malerischen Arbeiten und neben gelegentlichen zeichnerischen Exkursen stehen Skulptur und Plastik eindeutig im Zentrum, in den letzten Jahren erweitert um Objektkunst und Installation, die aber den Hauptkorpus des Werkes nicht wesentlich verändern. Die für die Ausstellung ausgewählten Plastiken bestehen – bis auf eine Ausnahme – aus Polyester. Die dazu in Beziehung gesetzten Werke der sieben Künstlerinnen basieren auf dem Medium des Videos, das sich seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als neue Kunstgattung herausbildete. Ulrike Rosenbach aus Deutschland und Judith Barry aus den USA als die beiden ältesten gehören zu den Pionierinnen. Das Video bildet dabei meist nur eine Facette ihres Werkes, was auch für die anderen Künstlerinnen gilt: AK Dolven aus Island, Ute Friederike Jürß aus Deutschland, Teresa Margolles aus Mexiko, Sigalit Landau aus Israel und Risk Hazekamp, die jüngste der Beteiligten, aus den Niederlanden. Sie arbeiten häufig auch mit Fotografie, Performance und Installation, teils in engen inhaltlichen Zusammenhängen oder medialer Mischung.

Plastik und Video entsprechen sich medial ebenso wie Malerei/Zeichnung und Fotografie. Während letztere zweidimensional angelegt sind und Räumlichkeit lediglich virtuell existiert, beziehen sich Plastik und Video auf den Raum – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Vor allem in der Anfangszeit, als Videokunst noch kaum als Lehrgegenstand galt, waren besonders Bildhauer an diesem neuen Medium interessiert, das sich auch als Dokumentationswerkzeug für Performances und andere zeitbezogenen Raumkünste eignet. Während plastisch-räumliche Gestaltung in der Bildhauerkunst sich in einem realen Gegenstand materialisiert, in dem sich verschiedene Zeitebenen durchdringen, werden im Video reale Gegenstände und Personen mit der Kamera in einem auch zeitlich realen oder durch Schnitt neu zusammengestellten Ablauf unter konzeptuellen und gestalterischen Gesichtspunkten erfasst, akustisch ergänzt durch Einbeziehung realer Geräusche oder Musik. Daraus entsteht ein Werk, das sich durch die synästhetische Einheit aus Bild, Bewegung und Ton definiert. Während bei der Rezeption einer Plastik durch die meist mögliche und auch erforderliche Betrachtung von allen Seiten eine zeitliche Komponente hinzukommt, entfaltet sich das Video als Bildschirm- oder Leinwandprojektion wechselseitig im Bezug zur jeweiligen Räumlichkeit: Sie beeinflusst sie, oder diese schreibt sich in das Anschauen des Videos ein. Nicht zuletzt besitzen die Abspielgeräte selbst plastischen Charakter, was sicherlich die Entstehung der Subgattung Videoskulptur begünstigt hat.

Im Werk von Christa Biederbick bildet der Mensch das zentrale Thema, die menschliche Figur das Hauptmotiv. Das gilt auch für die Arbeiten der anderen Künstlerinnen, selbst wenn das nicht augenscheinlich ist wie bei Teresa Margolles. Im Mittelpunkt steht bei Christa Biederbick zudem das Bild der Frau, welches auch die Arbeit der anderen Künstlerinnen charakterisiert. Das schließt fraglos die Beschäftigung mit dem Körper der Frau ein, dessen Bild jahrhundertelang den vorherrschenden patriarchalischen Mustern unterlag. Während Biederbick ihre Modelle dem engsten Lebensumfeld oder den Medien entnimmt, rekurrieren die jüngeren Künstlerinnen häufig auf sich selbst, weniger in einem porträthaften denn symbolischen Sinne. Nacktheit und Intimität werden ebenso ins Feld geführt wie Geschlechterrollen und gesellschaftliche Verhältnisse. Die Einbeziehung der eigenen Identität in ihren verschiedenen psychischen und sozialen Facetten als ästhetischem Verhandlungsgegenstand unterstreicht das emotionale Element in den Werken aller Künstlerinnen und verleiht ihnen einen existenziellen Charakter.

In den siebziger Jahren gestaltet Christa Biederbick meist einzelne weibliche Gestalten, Mädchen oder junge Frauen, in schutzloser Nacktheit und in sich versponnen. Zum Mädchen auf rotem Tuch (1971-1972) in eingefärbtem Polyester kommentiert die Künstlerin: „Die Plastik modellierte ich nach einer Zeichnung, die im Jahre 1970 am Grunewaldsee entstand. Zeichnungen von Liegenden, Sitzenden, Stehenden und Badenden waren lange Jahre immer wieder Anregung für meine Plastiken.“ Das auf rechteckigem, durch Faltenwurf leicht gewelltem Badetuch freistehende Mädchen ist nackt, der Kopf wirkt fast kahl. Der Körper weist eine leichte S-Form auf, der Rücken ist gerundet, der Bauch vorgewölbt. Angedeutete blonde Haare und farbige Pupillen bilden die einzigen farbigen Akzente. Aus jeder Betrachterperspektive gewinnt die Gestalt neue Anmutungsqualitäten. Alles deutet auf Verhaltenheit hin, ja auf Unschlüssigkeit: Sie wirkt anmutig und zerbrechlich, aber auch herb und verschlossen.

Die Frau am Tisch (1975-1976) von Christa Biederbick, nach einem Zeitungsfoto aus einer psychiatrischen Anstalt, ebenfalls in eingefärbtem Polyester ausgeführt, befindet sich in ungewöhnlichen Haltung: Sie lehnt in halb hockender, halb kniender Haltung mit extrem angewinkelten Armen auf einem Tisch aus transparenten Plexiglas, den Kopf zwischen den beiden hängenden Händen zur Seite gedreht, den Blick leicht gesenkt, ins Unbestimmte gerichtet. Herausragender farblicher Akzent sind die schwarzen Haare. Pupillen, Lippen und Schamdreieck sind ebenfalls farblich markiert. Während die Motivkonstellation Frau und Möbel einen Pop-Art-Künstler wie Allen Jones mit Hutständer, Tisch und Stuhl (1969, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen) zu einer zwischen Satire und Provokation liegenden skandalträchtigen Darstellung sexueller Willfährigkeit animiert, hat sie bei Christa Biederbick eine in Inhalt und Form gänzlich andere, nicht voyeurhafte Darstellung gefunden. Ihre Haltung drückt Ratlosigkeit aus, Isolation, Schutzbedürftigkeit und Ausweglosigkeit.

Der nackte weibliche Körper steht auch in dem Video between the morning and the handbag (2002) von A K Dolven im Mittelpunkt. 1953 in Oslo geboren, lebt A K Dolven auf den Lofoten und in London. In ihrem Werk verbindet sie auf engste Malerei und Videokunst, in dem sie die ästhetischen Prinzipien der traditionellen Technik in die des modernen, apparativen Mediums überführt. So ist auch Between the morning and the handbag gleichsam als Tableau, als bewegtes Standbild, angelegt, dessen Motivkonstellation unverändert bleibt. Mit der Kamera erfasst A K Dolven in Rückansicht den nackten, scheinbar gliederlosen Körper einer am Wasser sitzenden, kahl rasierten Frau und einer Handtasche an gleicher Stelle. Während der gesamten Vier-Minuten-Dauer des Videos verändert sich die Einstellung nicht. Bei aufgehender Sonne gefilmt, ist außer der sanften Wellenbewegung und dem fast unmerklich atmenden Körper nur der Wechsel des Lichtes als Veränderung erkennbar. Das Licht fungiert also quasi als mitformendes Werkzeug, während die menschliche Figur ohne Individuation einer Skulptur gleichkommt. Ruhig und seltsam zeitlos, zugleich komisch und absurd wirken Mensch und Ding, Frau und modisches Accessoire und laden zur Reflexion über Unabhängigkeit und gesellschaftliche Zwänge, Selbstbestimmung und Geschlecht, Eigen- und Außenwahrnehmung ein.

Anders und doch vergleichbar hat Christa Biederbick in ihrer Polyesterplastik Sitzendes Mädchen (1981) das Thema Sitzende und Gegenstand erfasst. Das auf Fotografien von der eigenen Tochter zurückgehende Motiv des auf einem Stuhl sitzenden nackten Kindes lebt aus dem Kontrast zwischen dem einfachen Holzmöbel mit zerschlissenem Sitzgeflecht und dem zarten schlanken, gedrehten Körper des Mädchens. Sie hat sich nach hinten gewendet, so dass ihre Beine ein wenig in der Luft hängen. Hand und Arm ruhen auf der Rückenlehne, in dessen Höhe sich auch die Kinnpartie des Kopfes befindet. Farbliche Akzente bilden die Pupillen und das den ausgeprägten Hinterkopf bedeckende blonde Haar. Die wie fragend, gleichsam zurückblickend dargebotene Haltung, der nachdenkliche, von der Umgebung abgewandte Blick, deuten Unsicherheit an, wie sie die Probleme eines Heranwachsenden auszeichnen. Alle drei Figuren von Christa Biederbick – die Stehende, die am Tisch und die Sitzende – wirken trotz ihrer Nacktheit nicht vordergründig erotisch, durch die gleichmäßig helle, glatte Darstellung der Haut eher kühl. Die klare, den ganzen Körper erfassende Modellierung, verhaltene Bewegtheit und nach Innen gerichtete Nachdenklichkeit erwecken beim Betrachter eine Art von Zärtlichkeit, in der Mitgefühl und Respekt sich mit der Ahnung von Konflikten vermischt.

Auch das Thema Mutter und Kind hat Christa Biederbick mehrfach und in verschiedener Form aufgenommen, ohne dabei sich selbst in Szene zu setzen. In Yolanda mit Rica (1994-1997) nimmt sie nach einigen Darstellungen in Holz das Thema Mutter und Kind nun in stärker realistischer Prägung nach längerer Zeit erneut auf. Beide namentlich genannten Figuren sind aus eingefärbtem Polyester gegossen und bis in die Details der Faltenbildung von Haut und Kleidung ausgeformt, allein der gleichmäßig fahle duale Farbton schafft Distanz. Die mit Kopftuch und Sandalen ganz dem Alltag verhaftete stämmige Frau, eine Bekannte aus Sizilien, hält mit festem Griff das Kind, das ihr seine Arme entgegenstreckt, und lächelt ihm zu. Mutter und Kind befinden sich auf gleicher Höhe, die Fürsorge der Älteren ist zupackend und energisch, der Nachwuchs gut aufgehoben und versorgt.

Die Künstlerin Ulrike Rosenbach, 1943 in Bad Salzdetfurth geboren und in Köln lebend, gehört zu den international bedeutendsten Video- und Performancekünstlerinnen. Ihre Kritik des tradierten Weiblichkeitsbildes aus feministischer Sicht bestimmt ihr Werk seit den frühesten Videos, die sie als "Dokumente ihres Innenlebens" versteht. Einwicklung mit Julia (1972) besteht aus einer fünfminütigen einzigen Schwarzweißeinstellung, in der sie selbst und ihre fünfjährige Tochter zu elektronisch verzerrten Atemgeräuschen auftreten. Beide sind nackt, die Tochter hockt auf dem Schoße der Mutter, die beide Körper allmählich mit Mullbinden einhüllt. Die mit dem ungewöhnlichen Begriff der Einwicklung bezeichnete symbolische Handlung bezeichnet die enge, ja schicksalhafte "Verwicklung" von Mutter und Kind – auch nach Geburt und Entnabelung. Wie eng beider Leben miteinander verbunden sind, wie weit "Entwicklung" zur gegenseitigen freien Entfaltung möglich ist, dafür gibt die schlichte Darstellung ohne Emphase viel Spielraum zum Nachdenken.

Das in eingefärbtem Polyester ausgeführte Paar (1976) von Christa Biederbick zeigt den kräftig gewachsenen muskulösen Mann mit bloßem Oberkörper, langer roter Mähne und schwarzer Hose aus Leder leicht angelehnt an ein einfaches, hell angestrichenes Eisengeländer. Die gerade, auf hochhackigen Schuhen stehende Frau hat lange schwarze, über der Stirn gerade abgeschnittene Haare. Das hellblaue Kleid betont ihren schlanken Körper. Das Geländer wirkt wie eine Absperrung, der die Szene als Geschlechterkampf markiert. Während die Frau mit weit geöffneten Augen wie erschrocken in die Ferne blickt, mit der einen Hand verlegen den vom Wind aufgeblähten Rock an sich drückt und die andere zaghaft zum Gegenüber richtet, beugt sich der fast übergroß wirkende Mann mit gegrätschten Beinen zu ihr hin, umfasst mit dem linken Arm ihre Körper, sein Mund berührt ihre Schulter. Was wie eine Umarmung erscheint, erweist sich als Eroberungsgeste, als versuchte Inbesitznahme, deren gewaltsamer Gestus noch durch die ungleichen Körper betont wird.

Die Begegnung zweier Menschen ist auch das Thema des Videos Gay King (2005) von Risk Hazekamp. Die 1972 in Den Haag geborene Künstlerin lebt in Rotterdam und Berlin und beschäftigt sich in Fotografien und Filmen mit den Klischees, die das Bild von Mann und Frau, von männlicher und weiblicher Sexualität, sowie ihren Mischformen bestimmen. Häufig ist die Künstlerin selbst zu sehen, die in ihren "Standortbestimmungen", wie sie ihre Werke auf der Suche nach der eigenen Identität nennt, in verschiedenen Rollenspielen auftaucht. In Gay King treffen zwei Drag Kings, also Frauen in männlicher Kleidung und Attitüde, aufeinander, zufälligerweise schwul, und küssen sich. Erst gegen Ende tritt die Künstlerin selbst für einen leidenschaftlichen "(Cow)boy-und-Boy-Kuss" mit dem King des Films hinzu. Geschlechtliche Zuordnungen geraten hier auf spielerische Weise durcheinander und unterlaufen die starren soziokulturellen Schemata und ihre dominierenden wie normierenden Einfluss.

Auch in der Plastik Die schweigsamen Zwillinge (1995-2003) von Christa Biederbick, bestehend aus Polyester und in grauen, teils auch Weiß- und Brauntönen gehalten, kommt eine Zweierbeziehung und ihre Einbettung in das gesellschaftliche Umfeld zum Tragen, wenn auch unter gänzlich anderen Voraussetzungen. Die Darstellung ist von einer Zeitungsmeldung über zwei stumme Zwillinge (von denen die eine 1994 stirbt) angeregt. Christa Biederbick schreibt dazu: „Mit vier Jahren haben sie aufgehört zu sprechen. Sie sind in einer nicht aufzulösenden psychischen Qual aneinander gekettet. Mit Beginn der Pubertät interessieren sie sich für die Schriftstellerei und verfassen Gedichte und Romane. Mit Jungen der Nachbarschaft begehen sie Brandstiftungen und Überfälle und nehmen Drogen. Als kriminelle Psychopathinnen abgeurteilt, kommen sie in das Gefängnis Broadmoor in England. Marjorie Wallace berichtet darüber in ihrem Buch ‚Die schweigsamen Zwillinge’.“ Die Künstlerin führt die beiden kaum voneinander zu unterscheidenden jungen Mädchen in eng anliegenden Hosenanzügen und Rollkragenpulli nebeneinander in gleicher Haltung mit hängenden Armen vor. Ihre Gesichter sind ernst und verschlossen. Das Abwartende, Inaktive und Spiegelbildliche dieser Position lässt die Schwierigkeiten ahnen, die die engen genetischen Bande dem sozialen Handeln der Individuen entgegensetzt.

Das Individuum und sein Verhältnis zur Lebenswelt thematisiert Judith Barry, 1954 in Columbus/Ohio geboren und in New York und Berlin lebend, in ihrem Video First and Third (1987). Es gehört zu Not Reconciled, einer über Jahre entstandenen Serie erzählter Geschichten aus verschiedenen Ländern und Kulturen. First and Third stellt das erste Projekt dar. Darin kommen Menschen zu Wort, die in die USA einwanderten, Menschen aus einer Welt, die in der Sicht der führenden Weltnation an die dritte Stelle gerückt wird, ökonomisch abhängig und nach westlichem Maßstab unterentwickelt. Um sich ganz auf den Inhalt des Gehörten jenseits der individuellen Erscheinung konzentrieren zu können, hat Judith Barry Gesichter von Schauspielern, die die Texte sprechen, aus großer Nähe aufgenommen, so dass sie wie schwebend in einem dunklen Umfeld erscheinen. In den Erzählungen scheinen die Erwartungen, Hoffnungen, Versprechungen und Vorurteile auf, die sich in den Alltagserfahrungen der Neubewohner mit der harten Realität konfrontiert sahen. Als fragmentarische, auch widersprüchliche und streitbare Zeugnisse dringen die "redenden Köpfe" ins Gedächtnis ein und stellen das menschliche Element in den Vordergrund, das Anteilnahme und Identifikation mit dem Anderen ermöglicht.

Mit der Schriftstellerin (1993-1995) entwirft Christa Biederbick die Gestalt einer Frau am Ende ihres Lebens. Vorlage ist eine Fotografie der Schriftstellerin Agatha Christie, die vor allem als Krimiautorin Weltruf erlangt hat, auf der Titelseite der Beilage der Wochenzeitung „Die Zeit“ (14.9.1990). Die Künstlerin schreibt über ihre Plastik, die nicht als Porträt zu verstehen ist: „Meine Arbeit stellt eine Schriftstellerin in schon sehr fortgeschrittenem Alter dar. Man sieht ihr das Alter an – in Körperform, Körperhaltung und in ihrem sehr faltigen Gesicht. Aus ihren Augen schaut Selbstbewusstsein – Neugierde – Lebendigkeit. Sie hat sich gepflegt, etwas Rouge aufgetragen, ein farbiges Kleid angezogen, Schmuck angelegt. Eine Hand liegt auf einem Buch. Dies soll zeigen, dass sie noch mit ‚Lesen und Schreiben’ beschäftigt ist und so mitten im Leben steht mit ihrer ernstzunehmenden Persönlichkeit.“ Die Szene ist auf einer quadratischen Bodenplatte diagonal angeordnet. Die weißhaarige Protagonistin sitzt leicht zurückgelehnt auf einem Stuhl, neben ihr steht ein Tisch mit Büchern. Das Blau des Kleides lässt die Figur schlank und leger erscheinen, auch die einfachen bequemen Hausschuhe verweisen auf Intimität und Privatheit. Gleichwohl deuten das gepflegte Äußere, das offene, energische Gesicht und ihre Nähe zu Büchern an, dass hier keine alte Frau sitzt, sondern eine belesene ältere Dame, sehr eigen wohl, aber auch sehr vital. Das mit der Schriftstellerin angesprochene Thema des alten Menschen, des Alters oder Alterns ist angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung und der so genannten Alterspyramide in der westlichen Welt ein aktuelles, problembehaftetes Thema. Es bildet gleichsam die Kehrseite des seit der Nachkriegsära ständig wachsenden Jugendkults – von den damaligen Halbstarken bis zu den heutigen Kids und Models.

Zu gängigen Körperbildern setzt auch Ute Friederike Jürß mit Ich und Ich (2003) einen Kontrapunkt. Die 1962 in Wiesbaden geborene Künstlerin, die in Lübeck lebt, führt in ihrer genannten Videoarbeit ein doppeltes Selbstporträt vor. Nur schemenhaft aus tiefem Dunkel hervortretend, ist ihr Gesicht zu sehen, das unabhängig voneinander in einem ungefähr zweiminütigen Rhythmus altert, um am Ende wieder in die Anfangsposition zurückzukehren. Die natürliche Zeitfluss erscheint aufgehoben, die Kunst öffnet einen möglichen Blick in die Zukunft. Ute Friederike Jürß versucht im eigenen Bild nicht, den Kunstrezipienten von äußerer Schönheit und Unvergänglichkeit zu überzeugen oder Zeitlosigkeit zu suggerieren, sondern in einem vorausschauenden Exkurs macht sie deutlich, dass Leben Veränderung bedeutet, dass Leben sich auch in den Körper einschreibt und Spuren hinterlässt. Die Künstlerin bedient sich dabei Techniken der Bildbearbeitung, nicht zur Kaschierung der Realität, sondern um experimentell deren existenzielle Prägung auf den Menschen zu veranschaulichen und die Dimension des Besonderen und Innerlichen zum Ausdruck zu bringen.

Auch in der jüngsten Arbeit, Funebre ( 2009-2010), von Christa Biederbick sind ältere Frauen miteinbezogen, modeliert nach einem Zeitungsfoto von der Beisetzung einer ermordeten Frau in San Luca / Iatlien. Diesmal nicht einzeln und durch Attribute hervorgehoben, sondern als Gruppe, ein Motiv, das sie auch im hier folgenden Werk der Prozession behandelt. In beiden Arbeiten greift die Künstlerin Anregungen auf, die aus ihre regelmäßigen Italienaufenthalten in meist ländlichen, noch traditionell geprägten Regionen hervorgehen. Funebre ist – anders wie die übrigen Plastiken von ihr in dieser Ausstellung – in Terrakotta geformt und zeigt eine Gruppe von acht Frauen. Es sind Trauernde, Teilnehmerinnen eines Begräbnisses, die – ausgehend von der Hauptansicht der Plastik – in drei Reihen hintereinander gestaffelt, teils von vorne, teils von der Seite zu sehen sind. Stummer Schmerz zeichnet sich auf ihren Gesichtern ab. Sie verharren regungslos, wie versteinert. Die Künstlerin unterstreicht diese Haltung der Bestürzung und Starre, durch die dunkel gefasste Bekleidung und die Schwere des Materials..Die dicht gestellte Gruppe verschmilzt mit dem Podest zu einem düsteren, schwermütigen Mahnmal.

Um Tod und Bestattung geht es auch in dem Video von Teresa Margolles. Die 1963 in Culiacán/Sinaloa geborene Künstlern, die in Mexiko-Stadt lebt, gehörte in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Gruppe SEMEFO, deren Namen sich vom Gerichtsmedizinischen Dienst herleitet. Ihre Basis bildete gleichsam das Leichenschauhaus, in einer Metropole wie der mexikanischen Hauptstadt zugleich Brennspiegel sozialer Verhältnisse. Themen wie Gewalt, Tod, Bestattung, aber auch Organhandel und Schönheitsoperation in Mexiko prägen auch das individuelle Werk von Teresa Margolles, häufig schockierende Objekt-Installationen aus stofflichen Elementen, die an den (toten) Körper erinnern. Ihr Video Crematorio (2003) gibt Einblick in den Verbrennungsofen eines Krematoriums für anonyme Leichen – meist Opfer von Gewalt und Krankheit. Während in Christa Biederbicks Funebre die Verstorbenen gleichsam in den Gesichtern der Trauernden ihren Spuren hinterlassen, erscheint das schwarz gerahmte rundliche Ofenloch, in dem als Endlosschleife menschliche Kadaver im Feuersturm verglühen, als erschreckende, elementare Metapher für den industriellen Umgang mit denen, die schon im Leben aus der Gesellschaft ausschieden.

Christa Biederbicks Prozession (1977-1979) ist eine Gruppe aus elf Figuren. Die Künstlerin schreibt zur Entstehung: „Anlaß zu dieser Figurengruppe war eine Karfreitagsprozession auf einer sizilianischen Insel. Diese Prozession wurde nur von ganz wenigen Personen ausgeführt, die sich kennen, die fast eine Familie sind. Man verständigt sich mit Blicken über das Schauspiel, das eine eigentümliche Faszination hat und bei dem man sich auch gerne fotografieren läßt. Aber die Gefühle sind doch nicht so eindeutig: Jeder versucht auf seine Weise, in die Rolle zu schlüpfen, die die religiöse Handlung, das hergebrachte Brauchtum verlangen. Es existiert dabei eine für uns unauflösbare Mischung von Gläubigkeit und gespielter Gläubigkeit. Daß darin kein Problem liegen muß, führt der Priester professionell vor.“ Bei dem in Ginostra auf Stromboli beobachteten Ereignis, das Anfang der siebziger Jahre stattfand, beteiligten sich auch die Künstlerin (sie ist die linke hintere Frau in ihrer Plastik) und ihr Mann (als Fotograf), da nicht genügend junge Leute zum Mitmachen zur Verfügung standen. Die für Italien wie andere katholisch geprägte Gesellschaften typische Prozession besteht aus einen langen Zug, angeführt von einer männlichen Person, die ein großes schlichtes Kreuz hält. Hinter ihm tragen vier Frauen eine Bahre mit einer Christusfigur im gläsernen Sarg, gefolgt von einem Priester und drei Männern mit einer Madonnenstatue. Die dunkle Kleidung lässt die hellen bleichen Gesichter und auch die Beine der Minirock tragenden Frauen kontrastreich hervortreten und ganz unterschiedliche Gemütszustände sowie Haltungen zum Ausdruck bringen. Eine besondere Spannung in der künstlerischen Darstellung entsteht durch Kombination augenscheinlich lebender und toter Gestalten, wobei letztere in der Realität ebenfalls nach ästhetischen Kriterien geschaffene künstliche Figuren sind – nämlich religiöse Skulpturen, die im Zentrum der christlichen Liturgie stehen.

Dem Ritus des feierlichen Schreitens in Christa Biederbicks Plastik haftet etwas Düsteres und Gespenstisches an, das auch Video Barbed Hula (2001) von Sigalit Landau prägt, obgleich es in einem gänzlich anderen Zusammenhang steht. Die 1969 in Jerusalem geborene Künstlerin, die in Paris und Tel Aviv lebt, verwendet in ihrer Arbeit, die an die Body Art der siebziger Jahre anknüpft, häufig den eigenen Körper als Experimentierfeld und Objekt gesellschaftspolitischer Reflexion. In Barbed Hula ist sie selbst nackt am Strand nahe bei Tel Aviv zu sehen, nur ihr Kopf bleibt unsichtbar. Anstelle eines Hula-Hoop-Reifens, der modernen, aus Plastik fabrizierten Variante des ehemals hölzernen Spielzeugreifens, in den letzten fünfziger Jahre in Mode gekommen und jüngst als Sportinstrument wiederentdeckt, lässt Sigalit Landau einen Reifen aus Stacheldraht um ihre nackte Taille schwingen. Zwar sind die Dornen nach außen gerichtet, doch bei unregelmäßigem Drehen dringen sie schmerzhaft in den Körper ein. Die Selbstverletzungen, die sich Landau zufügt, durch die ständige Wiederholung des kaum zwei Minuten langen Videos perpetuiert, gehen unter die Haut. Stacheldraht, gleichsam präfiguriert in der biblischen Dornenkrone, dient gewöhnlich gewaltsamer Ausgrenzung oder Abwehr. Die Künstlerin als stellvertretende Märtyrerin führt in ihrer Anspielung auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern vor, wie sich Gewalt endlos wie in einem makabren Ritus fortsetzt, einen Teufelskreis bildet, aus dem auszubrechen fast unmöglich scheint. Bildhauerei und Videokunst, die gestaltete Figur und der vor laufender Kamera agierende Körper (mitunter Teil einer Performance), bilden gleichermaßen Ausdrucksformen für berührende und bewegende Kunstwerke, wie die Werke aller acht beteiligten Künstlerinnen eindrücklich vor Augen führen.
Text von
Michael Nungesser, Kunsthistoriker
Berlin, den 31. Oktober 2010